Oldenburger Bürger wollen die Energienetze erobern

In diesen Tagen richten sich die Augen aus Berlin, Hamburg, Stuttgart und überall dort, wo sich Genossenschaften um den Betrieb der Energienetze bewerben, in den Nordwesten der Republik. In wenigen Tagen fällt in Oldenburg die Entscheidung, wer die nächsten 20 Jahre die Energienetze betreibt. Neben dem alten Platzhirschen EWE bewerben sich mit der Olegeno Oldenburger Energie-Genossenschaft eG engagierte Bürgerinnern und Bürger, die ihr Netz selbst betreiben möchten. Das wäre eine Premiere für eine deutsche Großstadt.

„Zuerst kaufen wir unser Netz.“ Dass sie nicht wissen, was sie wollen, kann man den rund 300 Oldenburger Energiegenossen von der Olegeno wahrlich nicht vorwerfen. Was sich auf dem ersten Blick anhören mag wie eine gewöhnliche Alltagsanschaffung ist in Wirklichkeit ein Mix aus jahrelanger Akribie, vielen Diskussionen und Emotionen sowie Verhandlungsgeschick und Öffentlichkeitsarbeit. Die Energienetze einer kleinen Großstadt mit fast 160.000 Einwohnern kauft man nicht im Vorbeigehen. Schon seit 2011 trifft sich das Team jede Woche. Mittwoch für Mittwoch sitzen in der Regel etwa zehn Aktive am Tisch. Es ist eine sehr heterogene Gruppe bestehend aus Studenten, Umweltökonomen, Physikern, Informatikern, Journalisten, Ingenieuren, Atomkraftgegnern, jungen Müttern und Vätern. Sie beratschlagen über die aktuelle Lage, diskutieren, grübeln über neue Strategien und verteilen Aufgaben. Jeder hat seine eigenen Schwerpunkte und alles geschieht ehrenamtlich. Um nicht die Zukunft vorwegzunehmen, gehen sie seit Gründung ihres Unternehmens pfleglich mit dem Genossenschaftskapital um. Ihr Ansporn: Sie wollen das Oldenburger Strom- und Gasnetz betreiben und mit den Gewinnen die lokale Energiewende voranbringen. Nicht zufällig habe man sich für das Genossenschaftsmodell entschieden, denn dieses erfülle den Leitgedanken der Olegeno. Die Netze sollen von nun an „demokratisch, fair und transparent“ betrieben werden. Ein Hauch von Provinzrevolution schwingt da durchaus mit.

Nicht selten fühlen sich die Mitglieder des Olegeno-Teams wie in dem kleinen gallischen Dorf, das sich tapfer gegen die römische Besatzungsmacht wehrt. Wenn auch weder Asterix noch Obelix am Tisch sitzen, ist man trotzdem stark genug, um es mit den „Besatzern“, also dem Altkonzessionär „EWE Netz“, aufzunehmen. Dessen mächtiges Mutterunternehmen, die EWE AG mit Hauptsitz in Oldenburg, setzt rund acht Milliarden Euro im Jahr um und machte zuletzt eher durch Negativschlagzeilen von sich reden: vom Bundesgerichtshof einkassierte Gaspreiserhöhungen, Untreue-Vorwürfe, nicht abgeführte Konzessionabgaben. Ein weiterer Mitbewerber im Verfahren - die Oldenburger Energie AG - hatte sich bereits früher frustriert aus dem Verfahren zurückgezogen.

Der Zaubertrank der „Olegenos“ ist auf der einen Seite das Gesetz, das im Konzessionsverfahren Chancengleichheit und Diskriminierungsfreiheit vorsieht – jedenfalls in der Theorie. Auf der anderen Seite profitiert die Olegeno von einer starken Vernetzung mit anderen Energie-Genossenschaften wie die Bürger Energie Berlin eG oder der Hamburger Energienetz eG. Diese streben in ihren Städten ebenfalls Netzübernahmen bzw. Rekommunalisierungen an, sind aber in den jeweiligen Konzessionsverfahren noch nicht so weit fortgeschritten. Vorbilder für die Oldenburger sind daher die „Stromrebellen“ aus Schönau im Südschwarzwald, die bereits 1997 ihr Netz übernahmen. Die Elektrizitätswerke Schönau (EWS) gehören heute zu den bundesweit größten unabhängigen Ökostromanbietern. Auch hier bestehen enge freundschaftliche Kontakte mit tatkräftiger Unterstützung. EWS-Gründer Dr. Michael Sladek attestiert den Oldenburgern, dass sie über ein „stimmiges Konzept“ verfügen und sieht bei der Finanzierung des Netzes „keine Probleme“.

Auch manch prominentes Gesicht darf die Olegeno zu ihren Mitgliedern zählen. Dazu gehört Prof. Dr. Claudia Kemfert, Wahl-Oldenburgerin und Leiterin der Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin): „Ich bin gern Energiegenossin. Energiegenossenschaften erhöhen die Akzeptanz der Bürger und sind ein wichtiger Eckpfeiler für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende.“

Nach zweijähriger Vorbereitung wurde schließlich im vergangenen Herbst das finale über 300 Seiten starke Angebot zur Übernahme der Oldenburger Netze erstellt und abgegeben. Die Begeisterung über die eigene Team-Leistung brachte zu diesem Zeitpunkt Prof. Dr. Niko Paech, bundesweit anerkannter Umweltökonom und zugleich Olegeno-Aufsichtsratsvorsitzender zum Ausdruck: „Hier finden die Kompetenz unserer professionellen Experten aus dem Bereich des genossenschaftlichen Netzbetriebes und die Leidenschaft und der Ideenreichtum der Oldenburger, die sich zum Wohl ihrer Stadt engagieren, zusammen.“ Schon jetzt sei das Angebot „aus politischer Sicht ein großer Gewinn für die Stadt“, so Paech. Der Gewinn für die Allgemeinheit lässt sich bereits aus der Konkurrenzsituation ableiten. Konnte die EWE in früheren Jahrzehnten stets davon ausgehen, dass ihr Vertrag durch die politischen Gremien durchgewunken wird, muss sie sich anno 2014 einem knallharten Wettbewerb stellen und am Ende kann bei einem fairen Verfahren nur der Bewerber gewinnen, der das bessere Angebot abgibt.

Über das Gebot der Fairness wird es wohl auch nach dem 03. Februar 2014, dem Tag der voraussichtlichen Entscheidung, noch reichlich Gesprächsbedarf geben. Knackpunkt ist ein Gutachten, das der Olegeno unterstellt, den Nachweis der Leistungsfähigkeit nach dem Energiewirtschaftsgesetz nicht ausreichend erbracht zu haben. Olegeno-Vorstandsmitglied Nils Grabbe sieht es anders. Man habe unter Berücksichtigung der Probleme, die ein „Newcomer“ im Bereich der Konzessionsvergabe natürlicherweise besitzt, ein sowohl in „wirtschaftlicher, technischer und personeller Hinsicht ein detailliertes und vollumfängliches Konzept“ vorgelegt. „An zahlungskräftigen Investoren, die sich bei einem Zuschlag an die Olegeno am Netzkauf in Oldenburg beteiligen werden, wird es ebenfalls nicht mangeln“, so Grabbe. Da man von Seiten der Olegeno überzeugt ist, dass sich ihr Konzept sehen lassen kann, wurde der Stadtverwaltung und dem Stadtrat kurz vor Weihnachten die Veröffentlichung des Angebotes vorgeschlagen. Hintergrund ist, dass es im Rahmen des Konzessionsverfahrens eine Verschwiegenheitsvereinbarung gibt, die von den verbliebenen Bewerbern akzeptiert werden musste.

Noch geben sich die Energiegenossen nicht geschlagen und selbst wenn die Olegeno am Ende nicht die Konzession für die Netze bekommen sollte, sehen die Mitglieder für ihr junges Unternehmen eine positive Zukunft. Die lokale Energiewende stehe immer noch am Anfang und brauche starke Mitstreiter. Außerdem werde man den „Freunden aus Berlin und Hamburg mit Rat und Tat zur Seite stehen“.

 

 

apl. Prof. Dr Niko Paech
apl. Prof. Dr Niko Paech
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Prof. Dr. Claudia Kemfert (© Roland Horn)
Prof. Dr. Claudia Kemfert
(© Roland Horn)
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Ursula und Michael Sladek, EWS Schönau
Ursula und Michael Sladek, EWS Schönau
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Nils Grabbe
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